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H E R Z T Ö N E  [3]

 

 

 

 

 

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sternregen

 

er lag im bett, und da er nicht schlafen konnte, konzentrierte er sich auf die geräusche, die gedämpft von draußen in das dunkel des schlafzimmers drangen. aber es war schon sehr spät; nur noch gelegentlich hörte man ein auto vorüberfahren, ansonsten hörte er nur den regen, der mal etwas heftiger, dann wieder weniger laut an die heruntergelassenen fensterläden schlug … musik für mich, den „nachtlauscher“, dachte er und stellte sich vor, wie es wäre, jetzt im adamskostüm durch die menschenleeren straßen zu ziehen und in diesen regenklang einzutauchen. –

plötzlich spürte er, wie eine hand (es war unzweifelhaft eine weibliche, das fühlte er sofort) über seinen rechten oberschenkel strich und dabei langsam aber ziemlich zielstrebig auf sein glied zusteuerte.

du bist noch wach? … ich kann auch nicht schlafen, hörte er eine stimme flüstern. die hand ergriff sein mittlerweile voll erigiertes glied und begann dieses zart und doch kraftvoll zu massieren. immer heftiger wurden die bewegungen, und dann spürte er, wie feuchte lippen sich seinem mund näherten … eine zunge die seine berührte … du bist so wunderbar im bett, liebste lena, dachte er, tauch mich in deinen heißen atem, laß uns verglühen vor leidenschaft … laß es uns so heftig treiben, wie noch nie … oh süße kleine lena, wie sehr ich dich liebe …

die leidenschaftlichen liebkosungen kannten keine grenzen mehr, immer ekstatischer verschlangen sich ihre körper ineinander und strebten unaufhaltsam dem höhepunkt zu, bei dem der sternenhimmel nur ein ziemlich läppisches bild wäre für das, was der orgasmus im seinem hirn ausgelöst hatte. den farbregen ganzer galaxien habe ich gesehen, dachte er –

noch lange lag er wortlos über ihr und spürte, wie sich herzschlag und atemfrequenz langsam wieder beruhigten und auch sein glied wieder zur normalen größe zurückschrumpfte und dabei aus ihrem schoß flutschte. –

du warst gut heute, sagte seine frau nach einer weile, aber irgendwie warst du abwesend … hast du sorgen?

fee, laß uns jetzt schlafen, antwortete er. dabei zog er die decke über seinen kopf und drehte sich zur anderen seite.

 

(19. april 2005)

 

 

 

eigentlich wie immer

 

er saß am küchentisch, schlürfte an seiner großen tasse milchkaffe, rauchte eine erste gauloise und überflog die schlagzeilen der tageszeitung. es war eigentlich alles wie immer; seine frau hatte längst das haus verlassen (ein gemeinsames frühstück gab es nur noch am wochenende, wenn sie morgens nicht in die druckerei mußte und er sich nicht ins atelier zurückgezogen hatte), und er konnte den tag erst einmal langsam angehen lassen; vormittags kann doch kein vernünftiger mensch irgendeinen klaren gedanken haben, hatte er fee immer gesagt, wenn sie mal wieder über sein spätes aufstehen meckerte. – aber irgend etwas war heute doch anders als sonst, nur wußte er nicht den grund seines unbestimmten gefühls zu benennen. –

nun haben sie also den deutschen doch zum neuen papst gewählt, dachte er, als er in großen lettern von einem benedikt dem XVI. las. na, mir kann es egal sein, mit der kirche hab ich nichts am hut … meine religion heißt kunst und meine päpste heißen pablo der I. (picasso), pablo der II. (neruda), usw. -

als er aus der ferne ein martinshorn sich nähern hörte, blickte er zum fenster und stellte fest, daß es noch immer regnete. wie anders regen doch tagsüber klingt … gar nicht mehr magisch, dachte er, und im gleichen moment spürte er, was anders war. sein herz flatterte nervös, und als er sich die nächste gauloise anzündete, bemerkte er, wie seine finger leicht aber doch unübersehbar zitterten. verdammt, dachte er, du bist nicht mehr der jüngste und solltest vielleicht tatsächlich langsam mit dem rauchen aufhören. zu allem registrierte er jetzt auch noch ein zucken seines linken augenlids … hast du sorgen?, tönte es als schlaufe mit fees stimme in seinem ohr. – es klingelte. –

aus der gegensprechanlage hörte er ein stimme in beunruhigend ruhigem tonfall sagen: sie hatten den notarzt bestellt, kann jemand öffnen.

 

(20. april 2005)

 

 

 

a saucerful of secrets

 

eigentlich wollte er ja verreisen, wohin wußte er zwar noch nicht so genau, aber erst einmal am bahnhof angekommen, würde er das schon wissen, hatte er gedacht und sich auf den weg zum hauptbahnhof gemacht. jetzt stand er kurz vor dem ziel auf der domplatte und wunderte sich über das treiben dort. – da hat das papstfieber also auch köln erreicht, dachte er, haben die noch immer nicht genug, reichen denen nicht die letzten wochen auf dem petersplatz in rom … hier ist ja kaum ein durchkommen.

er blickte zu den beiden türmen des domes hoch, deren spitzen sich scharf gegen den wolkenlos blauen himmel abzeichneten, und zu seiner verwunderung merkte er dabei, wie er sich ganz leicht fühlte. eine taube steuerte im flug auf ihn zu und er machte eine handbewegung, damit sie ihm nicht ins gesicht flog. aber mit dieser bewegung begann er zu schweben, ein weiteres rudern mit dem arm … und (es war kaum zu glauben) er hob endgültig von der domplatte ab. die menschenmenge unten schien zu staunen, alle blickten zu ihm hoch, das sah er deutlich, als er zurückschaute, und beinahe hätte er dabei das baugerüst am turm gestreift … immer weiter hoch stieg er, jetzt war er schon auf einer höhe mit den glocken … nun mit den beiden spitzen der türme … drüben sah er den rhein … nein, das ist gar nicht der rhein, das ist ja das meer, dachte er … von einem kreuzfahrtschiff winkten leute zu ihm hoch … immer weiter trug der wind ihn von der küste fort … ich kann fliegen, was für ein herrliches gefühl, dachte er, denn erst jetzt legte sich sein erstaunen über die neue unerwartete fähigkeit. am horizont tauchten wolken auf, die dem dunkelblauen meer den tiefen glanz nahmen; sie kamen näher und näher und verdunkelten sich dabei zusehends. er begann seine flughöhe zu senken; wie ihm das gelang, konnte er nicht sagen, sein denken schien alle flugbewegungen zu steuern. aber er konnte es dennoch nicht verhindern, daß sich nun eine grauschwarze wand, wie aus dem nichts aufgetaucht, unaufhaltsam schnell näherte. er schloß die augen und spürte schon kurz vor dem zusammenstoß das zerplatzen seines körpers –

er zuckte zusammen und fand sich neben dem sofa auf dem boden liegen. aus den lautsprechern der stereoanlage hörte er musik, die er sofort erkannte … das ist „a saucerful of secrets“ aus dem ummagumma-album von pink floyd, sagte er, als habe ihn jemand danach gefragt. als er merkte, daß er ins leere redete, murmelte er sich selber fragend zu: warum läuft die scheibe denn jetzt? - er überlegte, wann er sie das letztemal aufgelegt hatte. das muß schon eine kleine ewigkeit her sein, dachte er, … aber lena hat immer so von diesem titel geschwärmt, erinnerte er sich jetzt …

 

(21. april 2005)

 

 

 

 

verfallsdatum

 

was zum teufel wird hier gespielt, fluchte er laut vor sich hin, seit tagen spukt diese alte geschichte in meinem hirn herum, und ich weiß nicht, wer regie führt.

ja, zugegebenermaßen ist sie mir nach mittlerweile sieben jahren wieder in den sinn gekommen, aus unerfindlichen gründen habe ich angefangen, in der vergangenheit zu graben, aber verdammt noch mal, warum muß sie zu allem überfluß noch öl ins feuer gießen (wie man so sagt) und mir diese blöde mail schicken … alle heimlichen beziehungen haben ein verfallsdatum, dacht er, und das ist bei dieser uralten geschichte längst überschritten …

er saß immer noch am computer, hatte eben in der mailbox eine anfrage zur beteiligung an einer gruppenausstellung in hamburg gefunden, diese mit einer absage beantwortet, und danach noch einmal den „gruß von jean paul“ in der mail von lena nachgelesen –

oder vermute ich ganz falsch, dachte er nun plötzlich, alles ist nur einbildung? … aber der satz, daß man das geistige ahnen und das körperlich schauen müsse, um es dann umgekehrt darzustellen, ist eine treffend formulierte erkenntnis, von wem auch immer das ist, dachte er, sowas hat kein verfallsdatum …

und während sein denken sich zwischen innerer rede und gegenrede zu verknoten begann, stand er auf und ging in seinem atelier auf und ab. – eigentlich zeit, eine weinflasche zu öffen, unterbrach er sich dabei selbst nach einiger zeit (21.35, zeigte seine armbanduhr) und ging zum kühlschrank. („in vino veritas“, fiel ihm halb schmunzelnd ein)

ein ziemlich guter wein, dachte er, als er schon im schaukelstuhl sitzend den ersten schluck aus dem glas schlürfte. er nahm die flasche zur hand und schaute auf das etikett:  ein riesling, trockene spätlese aus dem rheingau, jahrgang 1998 … ein wirklich guter, reifer, vollmundiger tropfen … und schon sieben jahre alt …

 

(22. april 2005)

 

 

 

ziellos

 

das ist kein wetter für den stadtpark heute, dachte er, kaum ist mal am wochenende ein bißchen besseres wetter (jedenfalls das, was andere dafür halten) und schon wimmelt es dort nur so von menschen, nichts für mich, dachte er.

und so entschloß er sich, seine übliche runde heute einmal auf dem sofa liegend in gedanken abzugehen und kurz überlegte er noch, fee zu fragen, ob sie heute vielleicht einmal mitkommen wollte. aber aus der küche hörte er aktivitäten, die auf die vorbereitung des mittagessens hindeudeten, so verzichtete er darauf. ohnehin machte er diese runde am liebsten allein, so mußte er nicht rücksicht nehmen auf das tempo eines anderen; fee hat es immer irgendwie eilig, rast die wege ab, als würde sie von irgend jemand gejagt, dachte er, sie kann einfach nicht normal gehen. – gerade hatte er die alte einsame eiche erreicht, die an der ecke steht, wo er stets links zur großen freifläche abbog. die wiese war heute saftig grün und vollgesprenkelt mit blühendem löwenzahn. er hielt an und versuchte, in den unterschiedlich dichten häufungen des gelbs der löwenzahnblüten strukturen zu erkennen; wie ein gemälde von van gogh, dachte er und schlenderte weiter, dabei sann er nach über die zusammenhänge von innerer verfassung und lauftempo. er lauschte, wie der kies gleichförmig unter seinen schuhen knirschte … ein kleines ritardando glaubte er wahrzunehmen und beschleunigte leicht seinen schritt, um der verlangsamung entgegenzuwirken. so alle aufmerksamkeit auf die eigenen laufgeräusche gerichtet ging er einige zeit weiter, wobei er noch überlegte, ob es da zudem auch einen zusammenhang mit der herzfrequenz gibt.

bei der nächsten weggabelung stutzte er und bemerkte, daß er diese so nicht kannte. aber eigentlich ist mir doch jeder winkel des parks vertraut wie meine eigene westentasche, dachte er und verlangsamte seinen schritt. gehe ich nun rechts oder links, überlegte er, hat das gartenbauamt unter der woche vielleicht neue wege angelegt? … nein, das ist unwahrscheinlich, das sähe man, es sind keine frischen spuren zu sehen, die darauf hindeuten … vielleicht gehe ich zunächst mal rechts weiter und stoße irgendwie wieder auf vertraute pfade, falls nicht, kann ich ja umkehren und die andere richtung wählen.

aber es war merkwürdig, der erste weg verlief sich nach einigen hundert metern in dichtem gestrüpp, ohne daß zuvor irgend etwas vertrautes aufgetaucht war, wie etwa der kleine teich, den er für einen kurzen moment eigentlich erwartet hatte.

er wunderte sich ein bißchen über sich selbst, daß er überhaupt so weit gegangen war und sich nicht schon früher zur umkehr entschlossen hatte. als er dies nun tat, schien der weg aber nicht mehr zur weggabelung  zurückzuführen … seltsam, dachte er, das ist gar nicht der weg, den ich eben ging, da habe ich keine fichten gesehen, jetzt aber sind es fichten, und wie dicht sie stehen ! …

erstaunlicherweise war er auch schon länger keinem ausflügler mehr begegnet, kein jogger war an ihm vorbeigezogen, wie er das sonst gewohnt war.

ich habe mich wohl verlaufen, das ist unzweifelhaft, dachte er und wunderte sich über die gelassenheit, mit der er das feststellte … als kind hätte ich panik bekommen, dachte er … jetzt aber begann ihn die situation sogar ein wenig zu erheitern. (wenn ich ein bild anfange, weiß ich auch nie, was am ende rauskommt, fiel ihm ein, und er glaubte, ein leichtes lächeln in seinem gesicht zu spüren.)

so ging er einfach ziellos weiter, immer und immer weiter, ein unerklärliches glücksgefühl durchströmte ihn, und vermutlich hätte er das andere ende der welt erreicht, wenn ihn nicht seine frau zum essen gerufen hätte …

 

(23. april 2005)

 

 

 

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